Ein Blick in die Nachrichten, ein Schritt aus der Tür, das Telefonat mit einem Bekannten, der eigene Arbeitsalltag. All diese Umstände mögen zurzeit den Worten des Zen-Meisters Unmon geradezu entgegenstehen. Ein guter Tag, wo es doch Tag für Tag für viele Menschen nur schwieriger, anstrengender und kritischer wird, ohne ein echtes Licht am Horizont? Und gerade das wollen Unmons Worte aber sein – ein Licht. Der legendäre Zen-Meister der Vergangenheit wird in vielen Textsammlungen des Zen-(Chan) Buddhismus zitiert. Viele seiner Worte gelten als großartige Beispiele tiefster Einsicht in die Natur des Daseins. Was also mag in diesen Worten Unmons stecken, dass sie für uns jetzt zu leuchten beginnen können? Klar ist, der alte Meister sprach nicht über eine positive Grundhaltung, die es zu finden gälte, ein „auch im Schlechten das Gute sehen.“ Das ist zwar nicht falsch, und kann in vielen Situationen ausgesprochen hilfreich sein – doch Unmons Intention greift tiefer. Es geht nicht darum, wie wir die Dinge bewerten, ob als gut oder schlecht. Sein Ansatz ist ein grundlegender – es geht um die Frage von Sicht auf die Wirklichkeit überhaupt. Es geht also um das, was wir in der Schulung von Achtsamkeit letzlich wirklich machen, ein paradigmatisches Verschieben der Perspektive. Präsent im Augenblick, ohne sich mit wertenden Gedankeninhalten zu identifizieren. Diese innere Haltung, jedem von uns bekannt, und gleichzeitig so schwer als Ausgangslage des Bewusstseins zu erkennen und zu verankern. Ein achtsamer Geist begegnet, ja ist die Erfahrung dieses Augenblicks, wie auch immer diese geartet ist. Schmerzvolle Erfahrungen schmerzen, traurige Momente führen zu Tränen, ein Lachen entsteht aus dem Augenblick heraus. Tag um Tag, Augenblick für Augenblick. Ein guter Tag, an dem wir diese Erfahrung leben, sei sie freud- oder schmerzvoll. Achtsamkeit mag uns diesen Weg eröffnen. Manchmal mühsam, manchmal leicht und mit Freude. Nehmen wir uns Unmons Worte zu Herzen, erfassen wir sie in Ihrer Gänze, dann findet sich in dieser Erfahrung eine Freiheit und Offenheit, die bewertendes Denken einfach transzendiert. Und so zu dem führt, was MBSR eigentlich will – helfen, mit Achtsamkeit Stress zu bewältigen. Auf die Übung der Achtsamkeit bezogen meint dies, tatsächlich stets neu in die Erfahrung des Augenblicks zurückkehren. Dies läßt sich einfach üben in der formalen Praxis des Sitzens, Gehens, Liegens. Dies zielt aber immer ab auf den Vollzug des Alltags, auf das Aufstehen, Hinsetzen, Essen, Trinken und Händewaschen. Denken, wenn Denken gefordert ist. Das Denken zur Ruhe kommen lassen, wenn etwas anderes gebraucht wird. Taucht Widerstand gegen die gegenwärtige Erfahrung auf, wie berechtigt dieser Widerstand auch immer zu sein erscheint, diesem Widerstand offen und freundlich begegnen. Widerstand ist natürlich, aber nicht hilfreich. Dies läßt sich im kleinen gut üben, um dann in den anspruchsvollen Situationen des Lebens offen zu bleiben für sich und diesen Augenblick.Tag um Tag, ein guter Tag. Diese Einsicht, die sich in der Erfahrung der Gelassenheit, wie sie auch in der Seelenruhe der antiken Philosophen der Skepsis, aber auch in den Schriften des Dominikanermönches Eckhart findet, mag einen still und ruhig und klar durch diese Zeiten tragen. Oder, kurz gesagt mit den Worten des modernen Zen-Lehrers Othmar Franthal aus Dietfurt: Einfach dies.
Dr. Florian Seidl